Der Vortrag wurde gehalten von Professor Thomas Fartmann, Leiter der Abteilung Biodiversität und Landschaftsökologie an der Universität Osnabrück am 23.10. im Kreishaus Paderborn.
Gerald Klocke und ich (Gudrun Ponta) haben uns diesen sehr interessanten Vortrag angehört und haben einige Erkenntnisse zum Insektensterben mitnehmen können.
1. Das Insektensterben ist kein neues Phänomen
Das dramatische Insektensterben, das nun erst etwas Beachtung findet, hat bereits nach dem 2. Weltkrieg begonnen. In den 50er Jahren nahm es richtig Fahrt auf, inzwischen ist der Insektenrückgang im freien Fall.
Erst sterben die Insekten, dann die Vögel – die ersten Vögel, die durch das Insektensterben aussterben, sind die großen Insektenfresser. Früher weit verbreitete Vogelarten, die deshalb bereits ausgestorben sind, sind zum Beispiel die Blauracke, der Rotkopfwürger und der Schwarzstirnwürger.
2. Landnutzungswandel – Hauptursache für das dramatische Insektensterben
a. Der Landnutzungswandel (mit weitem Abstand der wichtigste Faktor)
b. Klimawandel
c. Stickstoff-Überdüngung
Früher war die gesamte Landschaft Lebensraum. Heute gibt es nur noch sogenannte “Fragmentierte Landschaft”, in der ökologische Bereiche nur noch in Fragmenten vorhanden sind. Neben den nur noch bruchstückhaften Habitatinseln bezeichnet man die übrigen, ökologisch wertlosen Flächen “Matrix” – also Straßen, versiegelte Fläche, Monokultur-Ackerflächen usw.
Insbesondere die Verkehrs- und Siedlungsflächen haben massiv zugenommen, gleichzeitig ist okölogisch wertvolles Ödland (Moore, Heide, Ackerbrache) sowie extensiv genutztes Grünland dramatisch zurückgegangen. Es bleibt einfach kein Lebensraum für die Insekten – für andere Tiere übrigens auch nicht.
In der fragmentierten Landschaft haben Insekten, die sogenannte “geschlossene Populationen” bilden, etwas bessere Überlebenschancen, weil sie in einzelnen Habitaten überleben können – aber nur, wenn das Habitat groß genug ist und eine gute Habitatqualität aufweist. Kleine Habitate werden vom Rand her von Pestiziden oder Herbiziden bis ins Zentrum beeinträchtigt, so dass diese kleinen Bereiche für Insekten oft wertlos sind.
Insekten, die sogenannte “Metapopulationen” bilden, sind auf einen Habitatverbund angewiesen und können in Einzelhabitaten nicht überleben. Sie brauchen Habitate, die nahe beieinander oder zum Beispiel über lineare Strukturen wie Ackerraine verbunden sind.
3. Viele Insekten benötigen Wärme und damit offene Flächen
Die Vegetationsphasen auf einer Fläche werden “Sukzessionsstadien” genannt. Wenn durch Sturm oder auch Kahlschlag auf einmal viele Bäume weg sind, beginnt dort der Vegetationsaufwuchs von neuem. Erst gibt es Gräser, dann Baumschößlinge, Büsche usw. bis wieder ein geschlossener Wald entsteht. Viele Insekten benötigen die frühen Sukzessionsstufen, weil nur in dieser Phase ausreichend Sonne und Wärme an den Boden gelangt, wo sich wärmeliebende Insekten entwickeln können.
Durche den dramatischen Rückgang extensiver Grünflächen, Heide usw. sind Lebensräume weggefallen, die immer wieder in frühe Sukzessionsstufen versetzt werden. Auch die “naturnahe” Waldwirtschaft, bei der nur einzelne Bäume entnommen werden, ist tatsächlich für viele Insektenarten nachteilig, weil keine Sonne und Wärme an den Boden gelangt.
Durch die fehlenden Störungen in den Habitaten und das komplette Zuwachsen kommt es daher mikroklimatischen Abkühlungen, die wärmebedürftigen Insekten die Lebensgrundlage entziehen.
Auch das “auf den Stock setzen” von Hecken ist eine “Störung”, die für viele Insekten überlebenswichtig ist. Wenn allerdings alle Hecken im Umkreis niedergemacht werden, bleibt für viele Tiere und Insekten kein Rückzugsraum mehr.
4. Die Vielfalt der Landschaft ist der Schlüssel für Insekten- und Artenvielfalt
Die sogenannte Habitat-Heterogenität ist extrem wichtig, wenn wir die Biodiversität auch nur ansatzweise erhalten möchten. Ein vielfältiger Lebensraum bietet nicht nur grundsätzlich vielen Arten eine Heimat, sondern sichert durch unterschiedliche Mikroklimata auch höhere Überlebenschancen bei Wetterextremen wie besonders heißen Sommern oder sehr kalten Wintern.
Um unsere Insektenarten vor dem kompletten Aussterben zu retten, müssen wir groß denken, ein Blühstreifen oder eine bepflanzte Verkehrsinsel helfen nicht – erst recht nicht, wenn handelsübliche Blühmischungen zum Einsatz kommen, mit denen heimische Insekten nichts anfangen können.
Zudem benötigen Insekten für ihr gesamten Entwicklungstadium nicht nur eine Blüte im Sommer. Meist wird auch nur an Bienen gedacht – und nicht einmal an Wildbienen, sondern an Honigbienen, die aber in keiner Weise bedroht sind. Mehr dazu im Wildbienen-Beitrag.
Auch wenn sie so klein sind, Insekten benötigen oft große Flächen mit bestimmten Faktoren, um zu überleben.
5. Was gegen Insektensterben hilft
Die bisherigen Naturschutzmaßnahmen reichen nicht, um unsere Insektenwelt vor dem Aussterben zu bewahren! Nur Pestizide verbieten würde nicht reichen, auch nicht die komplette Umstellung auf Biolandbau. Es braucht viel mehr:
- Habitatverbunde schaffen / Lebensrauminseln verbinden (“grüne Bänder”)
- Renaturierung von Matrix-Flächen
- keine Herbizide an Feldrainen
- Ackerbrachen
- heimische Ackerwildkräuter fördern
6. Erschreckend: Acker-Samenbank durch Herbizide aufgebraucht
Die Ackerwildkräuter haben über tausende von Jahren überleben können – auch jahrelange Dürren konnten Ihnen nichts anhaben. Jedes Jahr keimen nur etwa 6-8% der Samen, so dass ihr Überleben über etwa 15 Jahre gesichert ist. Durch den Einsatz von Herbiziden ist diese Samenbank aufgebraucht, es gibt keine Samen mehr in den Äckern und an Ackerrand, die keimen können. Der Mensch hat in wenigen Jahren zerstört, was über Jahrtausende das Überleben von Pflanzen und Tieren gesichert hat.
7. Kalkmagerrasen – das Zentrum der Artenvielfalt
Auf den früher in ganz Mitteleuropa weit verbreiteten Kalkmagerrasen gab es immer die höchste Insektendichte und Insektenvielfalt. Durch die irrwitzig hohe Überdüngung mit Stickstoff gibt es diese mageren Flächen fast nicht mehr. Ein wichtiges Ziel des Insektenschutzes muss also der Schutz, Erhalt und die Renaturierung von Kalkmagerrasen sein.
Weitere Infos hier: www.fartmann.net
Regionale, heimische Samenmischungen gibt es hier: https://www.rieger-hofmann.de/home.html
Fotos: fartmann.net (
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